Eine heiße Nacht mit den Backdoors im Logo

Am 1. August wollten die Backdoors im Hamburger Logo ein Konzert geben. Es sollte ein heißer Gig werden, denn seit Wochen hatte sich eine große Hitze über die ganze Stadt gelegt. Die Luft war schwül und ich fragte mich, wann endlich der Regenmacher in die Stadt kommt. Die Abende hatte ich am Computer verbracht, um das erste Kapitel für einen  Roman zu überarbeiten. In diesem Kapitel ging es um ein Lied der Doors, das die Hauptfigur Anna irgendwo gehört hatte, und das ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Die melancholische und psychedelisch verträumte Stimmung des Liedes "End Of The Night" prägte das ganze Kapitel. Dieses Stimmungsbild schien sich auch auf mich langsam übertragen zu wollen: "Take the highway to the end of the night. End of the night. End of the night. Take the journey to the bright midnight. End of the night, end of the night. Realms of bliss, realms of light. Some are born to sweet delight. Some are born to the endless night. End of the night. End of the night."?

In diesen heißen Tagen konnte man in meiner kleinen Dachkammerwohnung nur in den Nächten konzentriert arbeiten. Auch mein Sohn nutzte den kühlen Windhauch der Nächte, um seine Programme in den Computer zu tippen. Ich merkte oft nicht, wie schnell die Zeit verging und war überrascht, wenn die Morgendämmerung schon hereinbrach. Ich hatte mich auch auf den Highway zum Ende der Nacht begeben. Aber meine Reise führte mich nur immer tiefer in den Buchstabenwald. Die Zeilen auf dem Monitor waren dabei das Einzige, was sich bei meiner Reise in die Morgendämmerung wirklich bewegte. In dieser Zeit war der Gedanke an ein Konzert eine willkommene Ablenkung. In der Nacht vor dem Auftritt der Backdoors lief ich noch einmal zur Tankstelle, um erfrischende Getränke zu holen. Dabei entdeckte ich ein strahlendes Licht am Himmel, das sich langsam über das Dach unseres Hauses bewegte. Es war die Raumstation ISS, die zu dieser Stunde über Hamburg schwebte. Manchmal sind Himmelszeichen Vorboten für ein schönes Ereignis.

Das Logo ist ein kleiner Musikclub, der sich mitten im Uni-Viertel befindet. Das Konzert der Backdoors sollte um 21 Uhr beginnen. Ich hatte zwei Eintrittskarten besorgt, weil mein Sohn den Auftritt der Backdoors auch nicht verpassen wollte. Eigentlich hört er gerne Rap und Techno, aber die Musik der Doors kann ihn auch immer noch begeistern. Eine Stunde vor Beginn der Show fand ich ihn schlafend auf dem Sofa, weil er die Nacht vor dem Computer verbracht hatte.  Am Abend hatte der Schlaf ihn einfach übermannt und eingeholt.  Es dauerte eine ganze Weile, bis ich ihn aus seinem Tiefschlaf wecken konnte. Er war ganz erschrocken, dass es schon so spät war. In aller Eile machte er sich frisch, dann liefen wir zum Bahnhof.

An diesem Abend erhitzte die Sonne immer noch den Asphalt und die Menschen waren wohl alle in den kühlen Schatten ihrer Wohnungen oder ans Meer geflüchtet. In der S-Bahn saßen nur vier junge Mädchen, die sich für ein Vergnügen am Wochenende hübsch gemacht hatten. Auch am Bahnhof Dammtor wirkte alles wie ausgestorben. Hier wälzten sich sonst immer die Massen über die große Verkehrsstraße. Wir sahen nur drei junge Männer in aller Eile einen Bus ergattern, den wir eigentlich auch erreichen wollten. Ich sah auf die Uhr. Das Konzert hatte schon begonnen. Wir entschlossen uns, den kurzen Weg zu Fuß zurückzulegen, dann würden wir nur zehn Minuten zu spät kommen.

Im Hellblau des Himmels war kein einziges Wölkchen zu sehen. Dieser Himmel wirkte auch zu dieser späten Stunde immer noch so grell wie eine Leinwand. Nur die Häuser glühten im  Schimmer der untergehenden Sonne. Die Blätter der Bäume hingen schlaff an den Ästen. Es waren kaum Autos unterwegs. Eine seltsame Stille hatte sich um das Logo gelegt. Vor dem Eingang hatten sich einige junge Leute versammelt, die einen ganz verträumten Eindruck machten.

Als wir durch die Türe schritten, hatte ich zuerst den Eindruck, ich würde mich in einer dunklen Höhle befinden. Es dauerte eine Weile, bis ich den jungen Mann hinter dem Tresen erkennen konnte. Er wirkte elegant und höflich, als er die Karten abriss und zart den Stempel auf das Handgelenk drückte. Seine ätherische Schönheit konnte mich für einen Moment bezaubern.

Die nächsten Schritte führten uns direkt an den Ort des Geschehens. Die Band war in voller Aktion. Ich war froh, dass der Laden nicht gerammelt voll war, denn auch in diesen dunklen Räumen war es so warm wie in einer Schwitzhütte. Direkt vor der Bühne gab es noch einen kleinen Freiraum, die Zuschauer hatten sich alle um den Tresen herum versammelt. In der Dunkelheit konnte ich nur wenige Gesichter erkennen, aber mein erster Eindruck war, dass sich hier junge und wache Geister zusammengefunden hatten. Das Publikum war erste Sahne! Leider konnte ich in der Dunkelheit Jim Lizardking und seine Freundin nicht ausmachen. Diese lieben Freunde gehörten an diesem Abend zum innersten Kern der Hamburger Doors- Fangemeinde. Ich wollte aber auch nicht weiter suchen, denn der Sänger der Backdoors nahm mich gleich gefangen.

Die Ähnlichkeit mit Jim Morrison war unverkennbar. Er trug eine Lederhose und ein schwarzes Hemd. Sein brauner Lockenkopf und die Hüften wiegten sich im Rhythmus der Musik. Der ganze Körper wiegte sich in einem Blues. Mir fiel sofort auf, dass diese Ähnlichkeit nicht absichtlich herbeigerufen war. Der Sänger trug keine Maske zur Schau. Allein die Natur musste sich etwas dabei gedacht haben. Ein Sänger, der die Songs von Jim Morrison auf einer Bühne vortragen will, muss Wärme ausstrahlen. Er muss intelligent sein, aber er darf dabei nicht kühl und distanziert wirken. Er muss Charme haben, darf schelmisch lächeln, aber irgendwann muss er alle Emotionen rauslassen. Er muss Kraft haben und männlich wirken, aber er muss dabei aber auch den sensiblen Poeten verkörpern. In jedem Fall muss er mit seiner Stimme einen literarischen, hoch poetischen Text transportieren. Einfach gesagt: Er muss es rüber bringen! Der Sänger der Backdoors schien diese hochbrisante Mischung aus den verschiedensten Charaktereigenschaften von Natur aus in seinem Wesen vereinigt zu haben. Auch seine Stimme entsprach dem Vorbild. Der sanfte Bariton  umgarnte das Publikum. 

Die Gruppe legte langsam los und spielte ?Break On Through?. Die ersten Tänzer eroberten den Freiraum vor der Bühne. Zuerst waren es ganz junge Männer, aber bald gesellten sich auch die Frauen dazu. Sie hüpften wie ausgelassene Kinder im roten Scheinwerferlicht. Nach einer Weile hatte ich aber ganz vergessen, dass diese Gruppe einen Song von den Doors spielte. Die Musik der Backdoors entwickelte einen ganz eigenen Charakter. Die Gruppe baute eigene Improvisationen in die Stücke ein, die an diesem Abend alles ins Fließen brachte. Es war deutlich zu merken, dass die Backdoors nicht nur einfach die Songs der Doors herunterspulen wollten. Sie wollten nicht nur ein Spiegelbild sein. In dieser Musik lag eine ganz eigene Seele, die sich im Dialog mit dem Publikum langsam entfaltete. Während der Schamane auf der Bühne seinen Blues sang, kamen mir die Augen meines Sohnes ganz entrückt vor.

Endlich konnte ich in der Dunkelheit Jim Lizardking und seine Freundin Nina erkennen. Jim winkte mir zu, und ich musste ihm gleich bestätigen, dass die Backdoors einfach klasse waren. Er hatte mir nicht zu viel versprochen. Nina reichte mir die Hand und wirkte so frisch und hübsch, als könne ihr die Hitze nichts anhaben. Die Stimmung in dem kleinen Laden wurde immer besser, obwohl es immer heißer wurde. Ich ging zum Tresen, holte mir ein Bier und betrachtete die Musiker. Der Sänger ließ gerade einen infernalischen Schrei los und sank dann zu Boden. Der schlanke Keyboarder hatte ein markantes Profil und hockte in voller Konzentration über den Tasten. Eine junge Frau mit langen Haaren spielte ganz entspannt den Bass. Ihr Rücken war leicht zurückgelehnt und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Der Schlagzeuger saß souverän auf seinem Hocker. Er hatte das absolute Gehör für die richtige Lautstärke und untermalte gerade den Fall des Sängers. Der Gitarrist trug einen goldbestickten Hut und  wirkte sehr gelassen. Er  verlieh der Musik einen Hauch von Exotik und setzte zu einem Solo an, das die Zuschauer gefangen nahm.

Bald war das Publikum in eine leichte Trance geraten. Aber dann spielte die Gruppe heitere Liebeslieder, die Jim Morrison komponiert hatte. Auf einmal hörte ich, wie einige Zuschauer mitsangen. Im Publikum hatte sich ein kleiner Chor gebildet. Anscheinend kannten diese jungen Leute alle Texte der Doors auswendig. Einige liefen zur Bühne und der Sänger ließ sich von einem jungen Mann mit aschblonden Haaren zu einem Duett hinreißen. Danach machten die Backdoors eine Pause.

Jim Lizardking lotste mich in den kleinen Raum hinter der Bühne. Die Backdoors hatten sich dort mit einigen Freunden um einen Tisch versammelt. Die Stimmung war heiter und fröhlich. In diesem Moment kam mir die Frage in den Sinn, wie die Backdoors wohl den Song ?End Of The Night? interpretieren würden. Ich hatte diesen Song ja in den letzten Tagen sehr verinnerlicht. Er schien mir so selten und so kostbar wie eine Perle. Aber leider kannte ich ihn nur aus der Konserve. Wieder einmal kam eine leichte Wehmut hoch, weil ich die Doors niemals live erlebt hatte. Ich hatte in meinem Leben schon so viele Konzerte erlebt, nur die  Doors waren nicht dabei gewesen. Sie waren niemals nach Hamburg gekommen, sondern nur einmal in Frankfurt aufgetreten. Ich weiß noch, dass wir uns damals alle ganz sicher waren, dass die Doors auch einmal in den Norden unseres Landes kommen würden. Hamburg war damals eine Hochburg der Fangemeinde. Die Songs der Doors waren an jeder Ecke und in jedem Winkel der Stadt zu hören. Ich kannte wirklich niemanden, der nicht von den Doors schwärmte. Ich weiß noch, wie erschüttert wir alle waren, als Jim Morrison gestorben war. Ich erinnerte mich daran, wie mir die Tränen über die Wangen liefen, als ich in einer Illustrierten seinen Nachruf las. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie wichtig die Auftritte von guten Doors-Cover-Bands sind, weil sie dafür sorgen, dass man die Songs der Doors nicht nur über die Musikanlage, sondern live hören kann.

Jim Lizardking drückte meinem Sohn eine Kamera in die Hand und er machte ein Gruppenbild mit Dame. Der Sänger war dabei so gut gelaunt und freundlich, dass es mir leicht fiel, ihn darum zu bitten, den Song ?End Of The Night? für mich zu singen. Er wollte mir diesen Wunsch auch gern erfüllen, aber da fiel ihm ein, dass die Gruppe diesen Song gar nicht in ihrem Repertoire hatte. Er fand diesen Song auch sehr schön, und er war der Meinung, dass man ihn eigentlich zu Unrecht vergessen hatte. Der Keyboarder nickte und stimmte ihm zu. Im nächsten Moment fassten sie den Entschluss, diesen Song für den nächsten Auftritt einzuüben. Die Backdoors nahmen noch erfrischende Getränke zu sich. Eine junge Frau, die sich auch um den Tisch der Backdoors versammelt hatte, erzählte mir, dass sie sich in dieser Hitze nach einem afrikanischen Kleid sehnte, das wie ein Zelt geschnitten war. Da fiel mir ein, dass so ein Kleid ja in meinem Kleiderschrank hing, aber da nutzte es niemandem. Die Zeit verging wie im Fluge und die Backdoors eilten wieder auf die Bühne.

Am Anfang des zweiten Parts spielten die Backdoors romantische Lieder. Während die Gruppe ?Crystal Ship? spielte, kam ich ins Träumen. Es war eines meiner Lieblingsstücke. Es war ein Lied des Abschieds. Die Gruppe legte ihr ganzes Gefühl dort hinein. Ich sah das Kristallschiff an mir vorüberziehen, gefüllt mit tausend Freuden. Es verkörperte den Aufbruch in ein neues Land, die Sehnsucht nach guten Freunden, die Befreiung von allen Fragen, die niemals zu enträtseln sind. Die Stimmung dieses Liedes animierte die Zuschauer wieder dazu, einfach mitzusingen. Ich war wirklich erstaunt, dass die Leute im Logo so gut singen konnten. Bei dem Song ?Love Street? wurde wieder fröhlich getanzt und der Chor wurde noch lauter. Es war ein schönes Gefühl, in dieser heißen Nacht die Lieder der Doors zu feiern.

Danach reihte die Gruppe wieder erdige Blues-Stücke aneinander. Der Sänger konnte das Publikum mit seiner kräftigen Stimme mitreißen. Als die Gruppe dann den Song ?Five To One? brachte, kam wirklich Leben in die Bude. Bei dem Refrain ?Get together one more time? wurde der Chor immer lauter und die Leute tanzten im Kreis. In diesem Moment wurde mir ganz bewusst, dass die Texte der Doors immer noch aktuell waren. Bald darauf entschlüpften dem Sänger die deutschen Worte: ?Rockmusik ist schön?? Der Chor erwiderte in vollkommener Ekstase: ?Rock is dead, Baby! Rock and Roll is dead!? Der Sänger antwortete mit einer schönen Melodie: ?Aber Rockmusik ist soo schön?? Das Publikum antwortete mit einem Rap: ?Rock is really dead. Rock and Roll is dead, Baby!? Das Publikum hatte Jim Morrisons Worte aufgegriffen und ich fühlte mich plötzlich wie in einem Blues-Schuppen mitten in Harlem oder New Orleans. Die Musik der Backdoors war wie eine Zeitmaschine. Die alten Zeiten wurden wieder lebendig. Das Publikum hatte an diesem Abend wirklich bewiesen, dass die Hamburger Temperament haben können.

Am Ende des Abends spielte die Gruppe noch einige Songs, die auf L.A. Woman erschienen waren. Es wurde weiter ausgelassen getanzt und zwischen den Stücken hörte man Rufe nach den Doors laut werden. Anscheinend hatten einige Zuschauer ganz vergessen, dass die Backdoors auf der Bühne standen. Nachdem der ?Crawling King Snake? über die Bühne gekrochen war, erklang zum Abschluss ?Riders On The Storm?. Die ruhige und sanft dahin gleitende Melodie mit dem Regeneffekt bildete den Abschluss des Konzerts. Mit diesem kühlen Song wollte die Band uns in die heiße Sommernacht entlassen. Aber das Publikum war hartnäckig und verlange eine Zugabe. Mit dem Song ?Light My Fire? wurde am Ende noch einmal richtig eingeheizt.

Als das Konzert zu Ende war, gingen die Lichter an und die Anlage wurde langsam abgebaut. Der Gittarist der Backdoors gesellte sich noch einen Moment zu uns. Er erzählte mir, dass die Musik der Doors ein Höchstmaß an Konzentration erforderte. Er musste immer auf seine Einsätze achten, was bei einfachen Rocksongs nicht der Fall war. Aber große Kunst erfordert wohl immer Konzentration, das war in der schreibenden Zunft nicht anders. Als ich ihm erzählte, wie sehr ich den Abend genossen hatte, sah ich die Freude in seinem Gesicht. Die Mitglieder der Backdoors waren wirklich sympathisch. Ich fand es auch schön, dass endlich mal eine Frau zu den Mitgliedern einer Rockband zählte. Jim Lizardking war auch immer noch ganz begeistert. Er verabschiedete sich von mir, weil er mit den Musikern hinter der Bühne noch ein wenig plaudern wollte.

Als wir das Lokal verließen, entschlossen wir uns noch zu einer kleinen Nachtwanderung. In Hamburg herrschten auf einmal mediterrane Verhältnisse. Zu dieser späten Stunde waren überall Menschen auf den Straßen zu sehen. Im Sternschanzenpark hatte sich eine große Menschenmenge im Freilicht-Kino versammelt. Ich wollte die heitere Stimmung in dieser Sommernacht noch ein wenig auskosten. Wir holten uns einen Döner und setzten uns im Park auf eine Bank. Auf einmal kamen mir die Zeilen ?Rock is dead? wieder in den Sinn. In diesem Moment wollte ich von meinem Sohn einmal wissen, ob die Rockmusik wirklich tot war. Er sagte: ?Du weißt doch, dass die Musik inzwischen von Computern gemacht wird. In den nächsten Jahren ist wohl nur Kommerz angesagt. Eigentlich könnte man sagen, dass die Rockmusik tot ist und es ist auch nichts Neues in Sicht." Aber dann sah er mich lächelnd an, als wolle er mich trösten, und sagte: "Aber so lange es noch Menschen wie die Backdoors gibt, die sich mit einer Gitarre in der Hand auf die Bühne stellen, wird die Rockmusik  nicht sterben."