Engel

Meine arme, alte und erschöpfte Seele hatte sich in Sternenstaub verwandelt. Bunt schwebendes Licht, leichte Gase im Sonnengeglitzer tanzender Spiralnebel, so schwebte ich im Bett schwarzer Allmacht dem Vergessen entgegen, aber der Geist vergangener Leben schmerzte noch. Schmerzen um den Kampf der Liebe, Verstrickung der Seelen, der grausame Schmerz in die Atmosphäre eines Planeten einzutauchen, die Gewöhnung an dessen Bedingungen und der grausame Schmerz, ihn wieder zu verlassen. Mein letztes Leben war so leicht gewesen. Ich bin ein Engel auf einem leichten Planeten gewesen. Wir hatten unser ganzes Dasein den Klängen gewidmet. Wir bauten die schönsten Musikinstrumente aus gläsernem Licht. Unsere Musik durchdrang die Sphäre der anderen Planeten. Die Klänge vibrierten in der Leidenschaft unsere Liebe. Damit fügten wir den Engeln der Finsternis Schmerzen zu, aber das wussten wir nicht. Sie kamen über uns, zerstörten unsere Instrumente und absorbierten unser Licht. Auf der Erde werden sie Würgeengel genannt. Es sind Geister des Chaos, die in der Gewalt ihre Lust finden, weil sie die Verschmelzung der Seelen nicht kennen. Unsere Musik brachte die Sphären in Harmonie und ihr Schlüssel war eine Liebe, die alle Wesen öffnet, damit sich das Eine entfalten kann. Aber die finsteren Engel wollten die Tore schließen, damit niemand mehr etwas empfangen kann. Sie wollten nicht, dass etwas Neues das Licht dieser Welt erblickt, denn die Augen, die sehen, sind im Licht. Die Engel der Finsternis aber sind vom Licht geblendet. Mein Engel Daleth kämpfte mit mir bis zum Schluss. Er war ein großer Engel der Offenbarung und starb diesen grausamen Tod mit mir. Unser Licht erlosch im Kampf nur langsam. Im Schmerz vereint, sanken wir in das finstere Tal. Aber der Geist des Vaters, der uns von den Toten erhob, lebte in uns weiter. Die Klänge unserer Musik schweben immer noch im Raum und pflanzen sich fort. Im Licht der Sterne verbrachte ich Äonen.

Im langsamen und süßen Vergessen wurde ich wieder zum Kind. Ein kleines, strahlendes Licht. Bald fand ich mit anderen Kindern in einem schönen Garten wieder. Ich wusste nicht, wie ich dort hingekommen war. Die Pflanzen waren leuchtend und schön und zärtlich, wenn man sie streifte. Ihr Licht gab meiner Seele Nahrung. Der Sohn des Vaters kam zu mir und tröstete mich. Seine Liebe war die Nahrung, die mich wachsen ließ. Er kam nicht sehr oft, aber wenn ich ihn schon von weitem sah, kühlte seine Liebe meinen Schmerz. Alle Kinder versammelten sich um ihn. Wir schmiegten uns an ihn und er streichelte uns. Er war unser Lehrer. Langsam und bedächtig sprach er im höchsten Bewusstsein der Liebe. Seine Worte waren einfach und tief. Mit jedem Wort verschenkte er seine Seele. Wir waren noch zu klein, um sein Bewusstsein ganz in uns aufzunehmen. Er war ein Mensch, und wir, die kleinen Lichter, hatten noch nie einen Menschen gesehen. In seiner Nähe reifte ich und verankerte mich im Vertrauen. Das Leben wurde immer leichter. Da kam er zu mir und setzte mich auf seinen Schoß. Er bat mich darum, in die Erde einzutauchen. Er wollte, dass ich ein Mensch werde. Er sprach nicht davon, dass es nur im Fleische die Möglichkeit einer Vereinigung gab, die einer neuen Seele eine Form und ewiges Leben schenkte. Er sprach auch nicht von der Leidenschaft der Gefühle, die dort eine Seelenverschmelzung erst möglich machten, aber eine Andeutung lag in seinen Gedanken. Mir war in diesem Moment nur einen Augenblick seltsam zumute, denn mir war, als hörte ich einen Ruf aus der Halle der Seelen. Er sprach auch nicht vom Leiden in der Materie, aber die Traurigkeit in seiner Stimme deutete den Schmerz an, der auf mich warten würde. Ich wusste, dass er den Schmerz besser kannte als jedes andere Wesen im Universum. Er wusste auch um die Bedeutung des Schmerzes, aber er sprach nicht davon. Er wollte mich zu einem geheimen Ziel führen. Nun sollte ich selbst entscheiden, ob ich bereit war, den Preis dafür zu bezahlen. Ich wusste, dass er mich nur im Namen der Liebe fragte: "Willst du das für mich tun?" Ich konnte nur einwilligen, denn meine Liebe zu ihm und meine Dankbarkeit waren zu groß. Er sprach: "In deiner größten Not werde ich bei dir sein. Der Geist meiner Gedanken weilt noch immer auf diesem Planeten. Wirst du auch ein paar Worte finden, damit sich die Menschen an mich erinnern?" Ich versprach es und dann rief er Daleth herbei, der mich und andere kleine Wesen leiten sollte. Mein geliebter Freund Daleth, wie groß war meine Freude, ihn zu sehen. In seiner großen Kraft war aus ihm ein Erzengel geworden. Er hatte schon ein Menschenantlitz angenommen. Ich sah seine dunklen Locken und das runde Gesicht mit einem tiefen Glanz in den Augen. Er hatte mächtige Flügel, die eine dunkle Farbe hatten. All die Klänge wurden jetzt von seiner Stimme getragen. Eine warme und weiche Stimme, die mich in ihrer Schönheit erschauern ließ. Er sprach: "Danke, oh Herr, für dein Licht. Ich will deine Schöpfung preisen." Die Augen des Sohnes ruhten voller Liebe auf ihm, als er sprach: "Da deine Augen sehend sind, wirst du meine Kinder führen. Aber auf halbem Wege wird ein Erzengel zu euch stoßen. Er kommt von weit her, aus unerforschten Gegenden. Niemand kennt ihn, nur der Vater. Es ist der Engel Metatron. Ihr müsst auf ihn warten, es sei denn, er ginge verloren." Wir kleinen Wesen sammelten uns hinter den großen Flügeln des Daleth. Wir waren die Lichter in seinem Licht und so schwebten wir auf langer Reise durch das nachtschwarze All. Wir flogen an fernen Galaxien vorbei und als wir endlich die Hälfte der Strecke hinter uns gelassen hatten, war ich vollkommen erschöpft. Nur meine vertraute Liebe zu Daleth gab mir die Kraft, ihm zu folgen. Es war gut, dass wir auf den Engel Metatron warten mussten, damit ich neue Kräfte sammeln konnte. Würde dieser Engel uns erreichen nach so einer unendlich langen Reise? Wir warteten so lange, dass ich bald wieder bei Kräften war, aber dann war ich voll Sorge, denn der Engel Metatron war nicht zu sehen. Daleth war auch sehr besorgt und glaubte, der Engel würde uns nicht mehr finden. Vielleicht war ihm etwas zugestoßen, die dunklen Mächte hatten ihn vielleicht vernichtet oder er konnte sich verirrt haben. Daleth entfernte sich ein wenig von uns und rief den Metatron. Seine Stimme war so gewaltig, dass sie durch das ganze Universum hallte. Er sang bald ein Lied mit so großer Leidenschaft, dass mein Herz für ihn erflammte. Als ich dann aber den Engel Metatron mit seiner Schar kleiner Lichter kommen sah, stand ich vollends in Flammen. Nie zuvor hatte ich ein schöneres Wesen gesehen. Seine langen, seidigen Haare umrahmten ein Gesicht voller Sanftmut. Seine großen, grauen Flügel bewegten sich majestätisch. Sein Gewand leuchtete im blauen Licht und seine Glieder waren wie Elfenbein. Daleth und Metratron flogen aufeinander zu und sie umarmten sich wie Schmetterlinge. In diesem Moment wollte ich nur noch ein Licht des Metatron sein. Bald war ich mutig und flog zu meinem geliebten Engel Daleth und bat ihn darum, ein Licht des Metatron zu sein. Mein Engel Daleth bat den großen Engel demütig, mich als sein Licht aufzunehmen. Metatron willigte ein, und ich, dieses kleine Irrlicht, flog vor sein Antlitz und da erkannte ich seine Liebe für mich. Mein Herz sollte nur noch ihm gehören. Ich verneigte mich vor ihm und er wies mich an, nur noch an seiner Seite zu fliegen. Nun gehörte ich nicht mehr zu den anderen kleinen Lichtern hinter den Flügeln des Erzengels. Nun war ich nicht mehr im Flugschatten. Neben ihm wuchs ich heran und wurde der weibliche Zwilling des großen Erzengels.

Der blaue Planet leuchtete wie ein Juwel. Die weißen Wolken wirbelten seidig glänzend um ihn herum. Wir umkreisten ihn und staunten ehrfürchtig, als wir die korallenfarbigen Bergketten entdeckten. Aber bald entdeckten wir, dass der gefallene Engel des Lichts auch diesen Planeten verwüstet hatte. Die Würgeengel hatten unendlich vielen Gotteskindern die Luft zum Atmen genommen. Die Erde war noch voller Blut und die Häuser der Menschen waren zerstört. In der Ferne erblickten wir die Lichter der armen Seelen, die vom Engel Erzengel Michael zum Vater geleitet wurden. Er wurde von einer großen Seele begleitet, deren Antlitz ich nicht vergessen konnte und auf der Erde wurde diese Seele, die später mein Meister werden sollte, noch lange verehrt. Luzifer selbst war nun Mensch geworden. Sein Antlitz war wie versteinert. Er hatte den Kampf um die Herrschaft über diesen Planeten verloren und seine Seele schrie wie ein Tier aus dem Feuer einer sterbenden Sonne. Er musste nun den großen Tod sterben, bis das schwarze Loch, diese große Finsternis, ihren Meister wieder in sich aufnehmen würde. Wir verharrten einige Erdenjahre im Schatten des Mondes, um die schrecklichen Schwingungen des Bösen abzuwehren. Als der Planet lichter wurde, tauchten wir in die Atmosphäre ein. Mein geliebter Daleth wählte den großen Kontinent, als die Sonne im Schützen stand. Ich wusste, dass ich seine Stimme und seine Klänge bald wieder hören würde. Metatron wählte das Land, in dem der Fürst der Finsternis geherrscht hatte. Sein Licht würde die Wunden heilen. Er nahm mich unter seine Fittiche und zeigte mir eine Stadt im Norden. Hier wollte er Mensch werden und sich mit mir vereinigen. Er versicherte mir, dass der große Plan des himmlischen Vaters uns hier bald wieder zusammenführen würde. Er küsste mich mit dem Lebensfeuer und da hörte ich meinen Namen. Er tauchte ein und war verschwunden. Es war, als hätte man mich zerrissen und ich fiel in eine große Ohnmacht. Drei Erdenjahre später hörte ich meinen Namen. Es war die Stimme meiner Mutter und sie klang sehr metallisch und bedrohlich. Sie kam aus dem tiefen Bauch der Erde. Ich konnte ihr nicht widerstehen und dann tauchte ich ein im Zeichen des Schützen. Im Eintauchen lag ein großes Vergessen.