Jim Morrison König der Eidechsen

Der 15. Januar war ein Samstag. Es war ein kalter und grauer Tag. In der U-Bahn saßen kaum Menschen. Nur ein betrunkener Fußballfan grölte die ganze Fahrt vor sich hin. Es war nichts davon zu spüren, dass an diesem Tag Millionen von Menschen in aller Welt auf die Straße gegangen waren, um gegen den drohenden Krieg zu demonstrieren. Der Präsident von Amerika will einen Angriffskrieg gegen den Irak durchsetzen. Aber der Präsident ist nicht Amerika. Die Menschen hier wollen den Frieden. Vor wenigen Tagen hatte der Schauspieler Dustin Hoffmann bei einer Preisverleihung eine kurze, aber flammende Rede gegen den Krieg gehalten. Eugen Drewermann hat im Fernsehen gesagt: "Krieg ist ein Grauen, das Menschen sich zufügen. Wir brauchen ein Regime, im Westen wie im Osten, das sich für Menschen engagiert." Mehr gab es zu diesem Thema eigentlich nicht zu sagen. Ich konnte mich noch an den Aufschrei von Martin Luther King am Ende des Vietnamkrieges erinnern: "Ich habe den Krieg so satt! Ich bin der Schüsse so müde!" Ich hatte während der ganzen Fahrt ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht am Protestmarsch teilnehmen konnte. Dennoch war die Vorfreude auf das Ballett sehr groß. Immerhin fuhren wir der Musik eines Amerikaners entgegen, der Lieder für den Frieden gesungen hatte. In dem Song "The Unknown Soldier" hat Jim Morrison uns an die Gleichgültigkeit erinnert, mit der wir unsere Kinder vor dem Fernseher mit Kriegsbildern füttern. Er hat uns an den unbekannten Soldaten erinnert, der sich von Kugeln getroffen an deine eingefallene Schulter schmiegt.

Volker erwartete mich am Dammtorbahnhof und wir tranken in dem frisch renovierten Gebäude noch einen Kaffee. Ich erzählte Volker, dass Jim Lizardking auch an diesem Tag die Kieler Oper besuchen wollte. Er hatte sich in belustigender Art und Weise den Kopf darüber zerbrochen, was Jim Morrison wohl dazu sagen würde, wenn Balletttänzer in Strumpfhosen zu seiner Musik über die Bühne hüpfen. Jim Lizardking konnte sich mit dem Ballett nur schwer anfreunden. Er wollte sich das Ballett aber unbedingt ansehen, weil er nun einmal einer der größten Doors-Fans unter der Sonne war. Ich war mir ganz sicher, dass die Tänzer ihn bekehren würden. Er hatte wohl nur das klassische Ballett vor Augen. Als Kind konnte ich mich brennend für das moderne Ballett beigeistern und wusste, wie wunderbar und aufregend die Arbeit eines Choreographen war. Ich erzählte Volker auch, dass Jim Morrison dem weltberühmten Tänzer Rudolf Nurejew in den Straßen von Paris begegnet war.  Er hatte mit großer Verehrung von diesem Künstler gesprochen und wollte ihm unbedingt Hand schütteln. Das hatte ich in einer der Biographien über Jim Morrison gelesen. Ich konnte mich aber nicht mehr daran erinnern, welche es gewesen war. Also hätte Jim Morrison die Idee für ein Ballett ganz sicher gefallen, denn er konnte sich Zeit seines Lebens für das Theater begeistern.

Im Zug fuhren wir der hereinbrechenden Dunkelheit entgegen. Die Felder und die kleinen Häuser verschwanden in der Finsternis. Volker machte ein kleines Nickerchen, denn als Landschaftsgärtner ist er es gewohnt, schon in den frühen Morgenstunden auf den Beinen zu sein. Die Zeit verging wie im Fluge und ich fiel in eine leichte Trance.

Am Kieler Hauptbahnhof stiegen wir in den Bus und dann waren es nur wenige Stationen bis zur Oper. Die Haltestelle am Rathausplatz lag an einem kleinen See. Die Oper lag auf der anderen Straßenseite und war an den schönen Steinfiguren zu erkennen, die den Eingang zierten. Die Innenräume waren schon hell erleuchtet. Das Opernhaus wirkte sehr klein, aber ehrwürdig. Es roch nach Musik, es roch nach Kultur. Hier waren Menschen jeden Alters versammelt. Ich entdeckte auch ältere Menschen mit sehr interessanten Gesichtern. Jim Lizardking stand mit seiner Freundin an der Bar und winkte schon. Er zeigte uns voller Stolz das neue Handy mit einer bemalten Eidechse, das seine hübsche Freundin mit ihren Adleraugen entdeckt hatte. Er erzählte uns von seinen Ausflügen im kleinen Kiel und dem Bummel am Hafen. Volker trank mit mir zu Ehren von Jimbo ein Bier und da läutete die Glocke schon.

We came to a door and looked inside:

Unsere Sitzplätze waren nahe bei der Tür in der ersten Reihe. Im Orchestergraben stand in riesigen Lettern. "We live, we die" und "der Tod ist nicht das Ende" stand wohl auf der anderen Seite. Auf einmal war eine Kinderstimme zu hören, die bald mit einer Frauenstimme verschmolz. Wir hörten einen Text aus "Ecce Homo" von Friedrich Nietzsche: Dass man die allerersten Instinkte des Lebens verachten lehrte; dass man eine "Seele", einen "Geist erlog", um den Leib zuschanden zu machen; dass man in der Vorraussetzung des Lebens, in der Geschlechtlichkeit, etwas Unreines empfinden lehrt, dass man in der tiefsten Notwendigkeit zum Gedeihen, in der strengen Selbstsucht (das Wort schon ist verleumderisch!) das böse Prinzip sucht; dass man umgekehrt in dem typischen Abzeichen des Niedergangs und der Instinkt-Widersprüchlichkeit, im "Selbstlosen", im Verlust an Schwergewicht, in der "Entpersönlichung" und "Nächstenliebe" (Nächstensucht!) den höheren Wert, was sage ich! den Wert an sich sieht!...Wie! wäre die Menschheit selber in décadence? War sie es immer? - Was feststeht, ist, dass ihr nur décadence-Werte als oberste Werte gelehrt worden sind. Die Entselbstungs-Moral ist die Niedergangs-Moral par excelence, die Tatsache "ich gehe zugrunde", in den imperativ übersetzt: "ihr sollt alle zugrunde gehen" - und nicht nur in den imperativ!...Diese einzige Moral, die bisher gelehrt worden ist, die Entselbstungs-Moral, verrät einen Willen zum Ende, sie verneint im untersten Grunde das Leben."

Als die letzten Worte verklungen waren, spürte ich eine Gänsehaut auf dem Rücken. Das war ein Text, den Jim Morrison gelesen und verinnerlicht hatte. Mir ging in Sekundenschnelle durch den Kopf, dass der Präsident von Amerika diese "Entpersönlichung" predigte und das Böse gefunden zu haben glaubte. Und dachte der Diktator im Irak nicht genauso? Sollten die Menschen zugrunde gehen, weil sie wieder ihre Instinkte verleugneten? Der Selbsterhaltungstrieb gehört auch zu den Instinkten. War die Niedergangsmoral wieder im Vormarsch? Sind die Menschen dieses Zeitalters wieder dekadent geworden? Über diesen Text konnte man jetzt lange nachdenken, aber da hing jetzt ein gekreuzigter Jim Morrison hoch oben im Vorhang über der Bühne. Ich musste an Mario Schröder denken, der dieses Ballett inszeniert hatte. Er war wohl ein sehr intelligenter und mutiger Mann. Blutrotes Scheinwerferlicht hatte den Tänzer erfasst, der für diesen Abend Jim Morrison verkörperte, aber da senkte sich der Körper langsam zur Erde und da sprang er auch schon in die Tiefe hinab. Ein zarter und dennoch muskulöser Körper. Lange und dunkle Locken zierten den Kopf. Er trug keine Strumpfhose, sondern eine imitierte Lederhose. Wenn der Tänzer anfängt zu tanzen, dann muss er aufhören zu denken. Er muss fühlen!

Der Vorhang öffnete sich und es war eine große Leinwand zu sehen, auf der eine amerikanische Flagge wehte. In dieser wehenden Flagge war der riesige Schatten eines übermächtigen Vaters zu sehen und vor ihm kniete die kleine Schattenfigur des Kindes Jim Morrison, während "Riders On The Storm" erklang: "Reiter auf dem Sturm, in dieses Haus sind wir geboren, in diese Welt sind wir geworfen, wie ein Hund ohne Knochen, ein ausgeliehener Schauspieler". Die Schattenfigur des pflichtbewussten und hoch dekorierten Fregattenkapitäns, der niemals aus der Reihe tanzte und dem Pentagon angehörte, unterwarf und dressierte das Kind mit einfachen und schrecklichen Gesten. Oder war es nur ein Spiel? Der Vater hat seinen Sohn niemals geschlagen, aber er putzte ihn militärisch herunter, bis ihm die Tränen kamen. Die Gestalt des Kindes beugt sich nieder und wird immer kleiner. Eine tief empfundene Ohnmacht dem Vater gegenüber? Für das Kind gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man passt sich an oder man rebelliert. Jim Morrison hat sich für die Rebellion in der Kunst entschieden. Sein Umfeld wurde eine Forschungsstation für ein freies Leben. Er wollte die Grenzen der Realität erforschen. Dieser Tanz in die Freiheit wurde mit fliegenden Schritten angedeutet.

Ich war sehr erstaunt, denn die Zeitbezüge in diesem Ballett wurden sehr deutlich. Ich hatte es nicht bereut, dieses Ballett dem Protestmarsch vorzuziehen, denn diese Vorstellung schärfte das Bewusstsein der Zuschauer. Es ist wohl beinahe einen Roman wert, die ganze Geschichte dieser Aufführung zu erzählen. Dieser Kunstgenuss, der alle Sinne erfasst, ist unmöglich in einer kurzen Abhandlung in Worte zu fassen. Und wieder wurde mir bewusst, wie unzulänglich die Worte im Gegensatz zur Musik und den Ausdrucksmitteln des Tanzes waren. Nur die Musik kann das Unsagbare sagen und jede Bewegung der Tänzer war ein Unterstreichen des göttlichen Funkens.

In der nächsten Szene hockte der Tänzer Oliver Preiß in einem mit Wasser gefüllten Glaskubus, während Jim Morrison die Geschichte mit den sterbenden Indianern auf dem Highway erzählt. Ein Lastwagen mit indianischen Arbeitern war mitten auf der Straße verunglückt. Es war dieser Unfall, die erste Begegnung mit dem Tod, den das Kind noch nicht begreifen konnte. Er sieht nur das Blut und hört die Schreie der Sterbenden. Es war wieder das Gefühl der Ohnmacht, weil niemand den Indianern helfen konnte. Das Kind hat ein Schockerlebnis und in diesem Moment beschreibt er das seltsame Gefühl einer Initiation, denn die Seelen der Indianer schlüpfen in seine. Jim Morrison zieht den Schamanen aus dem Wasser und hilft ihm aus dem Glaskasten, so wird der Schamane geboren. Er ist sein anderes Ich, sein Freund und Feind,  das Gewissen, der Verführer und der Tod.  Riders On The Storm: "Da ist ein Mörder auf der Straße. Sein Gehirn windet sich wie eine Kröte. Mach einen langen Urlaub. Lass deine Kinder spielen. Wenn du diesen Mann mitnimmst, wird deine liebe Familie sterben. Der Mörder ist unterwegs". Der Schamane und der Dichter finden sich. In unglaublicher Leichtigkeit wird diese Verbindung im Tanze geheiligt. Der Schamane zerrt den Dichter ins Scheinwerferlicht. Wer wird die Führung übernehmen? Der Schamane   fühlt jede Regung des Sängers und ist mit jedem Schritt von ihm abhängig, aber in diesem getanzten Dialog öffnet sich den Tanzenden ein Tür, das männliche und das weibliche Prinzip begegnen sich: " Riders On The Storm: Mädchen, liebe deinen Mann! Nimm ihn an die Hand, lass ihn verstehen, die Welt hängt von dir ab. Unser Leben wird niemals enden. Liebe deinen Mann. Riders on the Storm."

In der nächsten Szene tanzte sich Jim Morrison frei. Er tanzt dem eigenen Leben entgegen. Während die "Soft Parade" erklingt, wird er sich von der Familie abwenden. Zuerst dieser Schrei eines Predigers: " Du kannst Gott nicht mit Gebeten  bitten!" Und dann erklangen die zarten Klänge eines Cembalo und die sanfte Bitte: "Kannst du mir Zuflucht gewähren. Ich muss einen Platz finden, wo ich mich verstecken kann. Kannst du für mich ein sanftes Asyl finden. Ich kann es nicht mehr machen. Der Mann steht vor der Tür." Es ist unmöglich zu beschreiben, wie sich der Tänzer einen Raum für die Stille schafft. Das bewegungslose Verharren und die ersten zärtlichen Gesten, in denen ein Mensch zu sich selber findet. Jim Morrison windet sich aus der Resignation heraus, während fröhliche Erinnerungen ihn begleiten. Da waren Pfefferminz und Miniröcke, Schokoladensüßigkeiten und ein Mädchen mit dem Namen Sandy. Mit stolzen Gesten entwickeln die Tänzer immer mehr Lebensfreude. "We're gonna ride and have some fun." Langsam tanzt Jim Morrison seiner Berufung entgegen.

In dem Song "Crawling King Snake" krochen die Tänzer wie eine sich windende Schlange über die Bühne. "Ich bin die kriechende Königsschlange, und ich herrsche in meiner Höhle." Jim Morrison tanzt in der Unterwelt  und erforscht den eigenen Schatten. Er kriecht durch den Raum des Todes. Die Hippies begegnen ihm und begleiten ihn auf seiner Reise. In dem Song "Indian Summer" begegnete Jim Morrison seiner Pamela. Die Tänzerin Nene Kitagawa umtanzte ihn ganz zart, während er von unsichtbaren Magneten gezogen wird. Die Tänzerin scheint seine Gedanken zu ahnen und sie tanzen den Tanz der Liebe. Die Musik erinnert an die Liebe des Dichters in den letzten Sommertagen. Die Bäume haben die Farbe des Feuers. "Ich liebe dich mehr als all die anderen, denen ich im Sommer begegnete".

Zu den unheimlichen Klängen von "Horse Latitudes" zeigten die Tänzer den inneren Kampf und den Rausch der Droge: "Wenn Strömungen winzige Monster erzeugen". In  dem Song "Moonlight Drive" wurde auch das Wunderbare sichtbar. Man sah Körper, die sich umeinander winden und bewegte Wellen bilden: Meer der Körper. Jim Morrison erklimmt die Gezeiten, schwimmt uns auf den Körperwellen entgegen und wird von ihnen getragen. Am Ende versinkt er erschöpft in einen tiefen Schlaf. Die Tänzerin bedeckt seinen Köper mit weißen Tüchern.

In dem Song "Five To One" kamen die Doors zusammen. Die Tänzer tanzen den Optimismus und die Lebensfreude. In Vietnam tobte der Krieg und der Planet schrie nach Veränderung. Die Doors tanzen mit stolz geschwellter Brust der Zukunft entgegen. Auf den kurzen Hemden der Tänzer stand geschrieben. "Touch me", "feel me", "hear me", look at me". Die Doors wollten mit ihrer Musik die Welt erobern. Und hatte Jim Morrison nicht gesagt, man solle die eigenen Gefühle wie ein Radio vor sich hertragen? Ich hörte den Text: "Die Alten werden alt, aber die Jungen werden stärker. Mag es eine Woche dauern oder auch länger. Sie haben die Gewehre, aber wir sind die Mehrheit. Wir werden gewinnen, Ja, wir werden es übernehmen. Komm!"

Plötzlich war die Vorstellung unterbrochen. Die Situation hatte etwas Dramatisches an sich, als der Vorhang plötzlich fiel. Er fiel genau in der Sekunde, als Jim Morrison uns an die Macht des Volkes erinnerte. Ein gut aussehender Mann in mittleren Jahren trat durch den Vorhang auf die Bühne und entschuldigte sich für den Zwischenfall. Er trug einen grauen Anzug. War es Mario Schröder selbst? Ich wusste es nicht. Er erklärte uns mit großem Bedauern in der Stimme, dass es ein Problem mit einer Aufhängung hinter den Kulissen gab. Sie konnte jede Sekunde herabstürzen und war deshalb für alle Anwesenden eine Gefahr. Das Publikum wurde mit aller Höflichkeit um Geduld und Verständnis gebeten. Man müsse eine kleine Pause einlegen. Etwa zwanzig Minuten. Wir wurden in dieser Zwangspause dann auch noch zu einem Kaffee an der Bar eingeladen. Das Publikum applaudierte  kräftig.

Jim Lizardking erwartet uns derweil mit einem strahlenden Gesicht vor der Garderobe. Ich war noch ganz betäubt von den bunten Farben, dem Licht, den Pirouetten und Hechtsprüngen und der Musik. Jim Lizardking ging es in diesem Moment genauso. Er war der Meinung, man könne dieses Kunstwerk beim ersten Mal gar nicht richtig erfassen. Er war total begeistert. Er wollte unbedingt noch einmal in diese Aufführung gehen und alles noch einmal von oben betrachten. Die Tänzer hatten ihn also bekehrt, so wie ich es mir schon am Anfang gedacht hatte. Volker nickte nur zustimmend. Er ist kein Mann der großen Worte, eher ein stiller Genießer. Aber Jim Lizardking hatte die Faszination, die von einem Ballett ausging, an diesem Abend nun wirklich begriffen. Da konnte ein eingefleischter Doors-Freak zum Ballett-Fan werden.

Mit "Five To One" ging die Vorstellung dann weiter. "Deine Zeiten im Ballsaal sind vorbei, Baby. Die Nacht zeichnet sich ab. Schatten des Abends kriechen über die Jahre. Du wanderst über den Boden mit einer Blume in der Hand. Versuchst mir zu erzählen, dass niemand dich versteht. Handelst in deinen Stunden um eine Hand voll Groschen. Wir werden es machen, Baby, in unserer Blüte. Lasst uns noch einmal zusammenkommen!" Die Doors tanzten sich nach vorne, als wären sie miteinander verschweißt.

In dem Song "Cars Hiss By My Window" tanzt Jim Morrison den Tanz mit den Groupies. "Die Autos zischen an meinem Fenster vorbei wie die Wellen unten am Strand. Ich habe dieses Mädchen neben mir, aber sie ist unerreichbar." Die Mädchen drehten ihre Pirouetten, aber sie kamen ihm nicht wirklich nah. Zu den unheimlichen Klängen des Liedes "L'America tanzte der Tänzer sich in die Ekstase und den Rausch. Ein einsamer Tänzer in der Wüste.  "Hey Leute, schaut nicht so traurig drein. Ihr wisst, der Regenmacher kommt in die Stadt." In "My Wild Love" begann der große Tanz mit dem Schamanen. Es schien so, als wolle der Schamane den Berauschten einfangen und auf einen anderen Weg führen. Der Schamane war in seinem Tanz so stark. Aber der Sänger eroberte mit ihm neue Blickwinkel. Der Schamane und der Sänger zeigten im Tanz den inneren Kampf, die Zerrissenheit der erschöpften Seele. "Sie wanderte den ganzen Tag. Sie wanderte zum Teufel. Es ist Zeit, zu bereuen."

Als nächstes erklang "Unknown Soldier" und "When The Music's Over". Jim Morrison tanzte den Tanz des sterbenden Soldaten und Polizisten gesellten sich dazu. "Wusstest du, dass die Freiheit in einem Schulbuch existiert. Wusstest du, dass Wahnsinnige unsere Gefängnisse betreiben. In einem Zuchthaus, in einem Kerker, in einem weißen, freien, protestantischen Mahlstrom." Jim Morrison tanzte den Protest voller Wehmut. Während er die Verwundungen besang, die wir der Erde zufügen, wurde er von einem langen Band gehalten, aber er zog daran und dehnte es bis an die Grenze: "Was haben sie der Erde angetan? Was taten sie mit unserer gerechten Schwester? Verwüstet und geplündert und schlitzten sie auf und bissen sie. Stachen ihr mit Messern in die Seite der Morgendämmerung und banden sie mit Zäunen und zerrten sie hinunter." Aber da hörte der Tänzer schon diesen lieblichen Klang und bei dem Aufschrei: "Wir wollen die Welt und wir wollen sie jetzt!" warfen die Tänzer weiße Zettel in das Publikum. "Persische Nacht, Babe, sieh nur das Licht, Babe, Rette uns, Jesus, rette uns."

 

Während der "Alabama Song" erklang, begann der Tanz mit der Flasche. "Oh zeige mir den Weg in die nächste Whiskey-Bar. Frag nicht warum. Wenn wir den Weg in die nächste Whiskey-Bar nicht finden, ich sage dir, wir müssen sterben." Im Tanz mit der Flasche offenbarte sich die Sehnsucht, in das Vergessen zu tauchen. Die Fotografin umtanzte ihn mit einer blitzenden Kamera, während er wie ein Toter am Boden lag.   Und dann erklang noch einmal "Riders On The Storm" mit den sanften Orgelklängen und dem Regen. Im Tanz begegnete Jim Morrison den Todesengeln. Der Tod tanzt bleich und fahl, wie ein unangemeldeter Gast, den du zu Bett gebracht. Unangemeldet und ungeplant. Der Tanzende wird zur Marionette.

Am Ende tanzten die Tänzer "The End". Jim Morrison tanzte das Leben aus sich heraus. Der Inhalt der Whiskeyflasche ergoss sich über sein Haupt. Er machte einen Kopfstand und sprang noch einmal in den Himmel. Am Ende liegt er auf seinem unsichtbaren Kristallschiff und treibt dem Tode entgegen, während der Vogel des Gebets über ihm zum Himmel schwebt. "Das ist das Ende, schöner Freund. Das ist das Ende, mein einziger Freund. Ich werde dir nie wieder in die Augen sehen."

Am Ende der Vorstellung gab es stehenden Applaus. Die Tänzer verneigten sich immer wieder vor dem begeisterten Publikum. Das schöne Erlebnis schien mir in diesem Moment viel zu kurz. Ich hätte gern noch viel länger hier gesessen und dem Schauspiel zugesehen.

Let's swift to the moon:

Wir wollten nach der Vorstellung zu Fuß zum Bahnhof gehen. Die kalte, frische Luft tat uns gut. Als wir in die Hauptstraße einbogen, zeigte Volker auf den Mond. Neben dem hellweißen Vollmond schwebte leuchtend die Venus. In der Astrologie bedeutet die Verbindung dieser beiden Planeten die Vereinigung der Seele mit der Kunst und der Schönheit und der Liebe.